in der aussichtslosigkeit melden sich die bilder

 

 

 

 

An der Ecke stand Sie sagte Sie und es kam zum Duell

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zwischen den Gesichtern das Vakuum

                                                                                

 

 

Rede zur Ausstellungseröffnung in der Galerie Bremer Berlin                                                                                            

  Hans Holle – Die Rückkehr der Bilder

 

„Und wieder sind alle Bilder zertrümmert und wir sitzen inmitten gehäufter Kleinode.“

In einem Gespräch sagte mir Hans Holle: „Alle Bilder sind schon gemalt.“ Statt die Welt vorzustellen, verstellen sie sie, bis der Mensch schließlich in Funktion der von ihm geschaffenen Bilder zu leben beginnt. Hans Holles Werk ist das Bestreben, die Bilder, die wir konsumieren und vergessen abzuschminken, sich vom Zwang des einzelnen Bildes zu befreien, in dem er es widerspenstig dekonstruiert, um neue Bilder, die zu einem Ort der Imagination werden, zu malen.

 

Holles Werke erzählen uns immer wieder, dass alles anders ist, erzählen uns immer wieder, was wir nicht wissen und immer wieder vergessen.

 

Für ihn sind Beckett und Giacometti immer wichtiger geworden. Er knüpft an informelle Malerei an, die für ihn ein bildnerischer Befreiungsschlag bedeutet. Die Energetisierung der Linie und der Form ist seine Antwort auf die affektiven Grundzüge des Menschen.

Seine Grafiken, Ölbilder und Aquarelle sind Protokolle lebendiger Erfahrungen. Die Begegnungen mit den Radierungen von Asker Jorn, mit dem Werk Schumachers und Höhme, aber auch mit der Musik eines John Cage und der Weite der Insel Langeland sind in seinen Werken verdichtet.

 

Seine Bilder zeigen uns eine Dialektik von Lebensverhältnis und Ausdrucksgestalt. Er dringt mit seinen Arbeiten in die Tiefe der inneren Realität und macht für uns an ihr erfahrbar, was das Allgemeine einer Situation repräsentiert.

 

In der Automatik der unvorhersehbaren Bildfügung veranschaulicht sich ein bewusster Seelenstrom. Er übermalt Bilder in mehreren Schichten, kratzt und radiert Stellen aus, bis die unvorhersehbare Metamorphose der Linien, Farbflecken und Lavierungen zum Medium wird.

Dies setzt voraus, dass das Medium der spezifischen Materialität der Ausdrucksgestalt technisch beherrscht wird wie eine Sprache. Hans Holle beherrscht seine Techniken in hohem Maße; er jongliert mit den Ebenen auf allen Ebenen, ein Meister der Drucktechniken. In seinen Radierungen nutzt er unterschiedliche Drucktechniken wie Kaltnadelradierung, Aquatinta, Strichätzung häufig für ein einziges Bild.

 

Holles Werke sind im Laufe der Jahre differenzierter und trotzdem strukturierter geworden; Anleihen an japanische Subtilität lässt sich erahnen. Seine Radierungen, die in der Zeit reifen, sind Vergegenwärtigung vitaler Erinnerungsspuren mit einer unerhörten Präsenz, da die polyvalenten Wesen zugleich Vieles darstellen. Die gestischen Verdichtungen, Übermalungen und Durchkreuzungen geben den Blick auf den „Riss im Subjekt“ preis.

 

In Holles Arbeiten kommt es zu einer Verfremdung der alltäglichen Seherfahrung durch unbewusste Erfahrungsschichten. Die in den Bildern vorgefundene symbolische Form leistet die Vermittlung von Erfahrung und Erinnerung, die alle als gegenläufige Spuren von Zeichen wirken. Der Rhythmus wird als zentrale Kategorie des Leibwissens manifestiert und stellt sich im Bild als Zeitgestalt dar. Oft hat ein Bild die Gestalt eines Rechtecks, wird es von dieser Form eingefasst. Verblüffend ist die räumliche Wirkung, die auf einer Fläche ein Bildteil, ein Partikel zu erzielen vermag. Erlesen, delikat und höchst diffizil ist die Farbgebung; ein Rot ist mit blau und schwarz unterlegt. Perfektioniert ist die Strukturierung, die in einzelnen Radierungen fast musikalisch zu nennende feinnervige Kompositionen entstehen lässt. Was immer Hans Holle an drucktechnischer Raffinesse in seine Grafiken einbringt (z.B. das Aufmontieren mit Nessel oder Farbspuren mit einem Korken), nie entsteht beim Betrachter der Eindruck, hier hat er nun doch übertrieben; es bleibt stets eine authentische Spur des Individuellen.

 

Ihn reizt es, die Unberechenbarkeit des Zusammenspiels von künstlerischer Bearbeitung der Druckplatte und handwerklicher Geschicklichkeit in höchster Form zu beherrschen und in seinen Möglichkeiten auszuspielen.

 

In jüngster Zeit, beeinflusst durch seine Auseinsetzung mit dem Werk Kirchners, fertigt Hans Holle auch Holzschnitte im Prinzip des Steinmetzens, d. h. aus einer Platte an. Wie die Aquarelle sind auch die Holzschnitte von einer eigentümlich beschwingten Stille.

Hans Holle hat einen langen Kampf mit dem Medium Leinwand geführt und – gewonnen. Seine Ölbilder sind Landschaften – innere und äußere. Welche bildnerischen Mittel stehen dem zeitgenössischen Maler zur Verfügung, um das Phänomen der Landschaft zu thematisieren. Eine abbildliche, mimetische Darstellung idealer Landschaften kann dies nicht mehr sein.

 

Ein möglicher Zugang, den auch Hans Holle wählt, ist die Stimmung, die Gestimmtheit des Raumes. Er geht von den Gegebenheiten der Farbe und dem mit der Farbabgebung verbundenen Gestus aus.

 

Hans Holle legt die Bildgestalt im Malprozess fest. Der Zufall wird in die Formentstehung integriert und macht den Malakt zu einer Interaktion des Künstlers mit der Farbe. Die autonome Farbe wird zur Metapher für die Dynamik der Naturkräfte, deren Formbildungen zu vieldeutigen Formen führen, wobei die Formelemente keine verweisende Funktion haben, sie verweisen auf sich selbst.

Diese Verweisungen bestehen in der gestischen Vollzugsform selbst. Diese kann sich in Farben, Übermalungen und Schichtungen äußern. Seine Farbpalette vermittelt den Eindruck von Mineralischem, Glühenden und Beweglichen und durch die Plastizität der Oberfläche wirken die Farbflecken dynamisch. Holle erfindet seine Farben – und Farbtöne gleichsam; so schwebt ihm z.B. genau dieses Blau vor. Bei ihm ist das Werden von Farbkontexten immer verwoben mit ihrer Präsenz, mit ihrer anschaulich wirkenden Simultaneität. Die zeitliche Seinsweise der Bilder ist das Präsens, denn es erscheint als Momentaufnahme eines Zustandes, der vorher anders aussah und sich jeden Augenblick verändern kann.

 

Der Betrachter begibt sich auf eine endlose Entdeckungsreise durch die Fläche und durch die Bildschichten in die Tiefe. Holle spielt mit dem surrealistischen Mittel der Metaphorisierung, was bereits die Titel (ich erwähne hier nur „Brachland der Gesichter“, „Papststuhl durchgesessen“, „Das Reisen zum Entrümpeln“, „Abfälle ohne Inschrift“, „verlierst du deine Irrtümer“, zeigen. Sie changieren wie ein Rebus zwischen Ironie, Ernst, Groteske und Absurdität und zeigen, dass Worte die Korken auf dem Meer der Bilder sind. Der den Bildern innewohnende Witz und Humor als auch die Aspekte des Sublimen ermöglicht dem Betrachter das Erlebnis überwältigender Geheimnisse.

Holles Aquarelle („Wasserhandlungen“) sind eher einfacher und transparenter Natur. Farbflecken, Striche, Gewichtes u.a. mehr erscheinen auf den ersten Blick manchmal chaotisch, entpuppen sich aber allmählich als Bildwelten mit einem intensiven Eigenleben. Es sind Partituren voller Farbe, beeindruckend die Farbabstufungen. Die Farben lösen sich von den Konturen, scheinen zu verschwimmen und gehen neue Verbindungen ein. Jede Nuance, die man vorher gewahrte, ist als Nachklang und Widerschein in der anderen noch enthalten. Musik ist jetzt ganz nah; die Farbe ist zum strukturierten Klang geworden, welchem der Maler seine Form eingeschrieben hat.

 

Hans Holles gesamtes Ouevre ist sowohl eine Einheit von Spannung, Subtilität und Kraft als auch von Geist, Ausdruck und Material. Die Blätter repräsentieren emotionale Zustände ebenso wie die Geschichte ihres Entstehens. Insofern sind sie nicht nur spontane Hervorbringung des künstlerischen Temperaments, sondern Protokolle geduldiger Archäologie des Bewusstseins und Spurensicherung einer real vorhandenen Wirklichkeit. Die Autonomie des Werkes verwirklicht sich in der Suggestivität seiner sinnlichen Präsenz als Weise seiner Autentizität und Wahrheit.  Hans Holle überschreitet im ästhetischen Prozess die bloße Identifizierung mit Bekanntem, nicht zuletzt durch seine leise Ironie und seinen Witz, und seine Malerei erlaubt uns, die Restriktionen des Alltags hinter uns zu lassen und die Freiheit der Sinneswahrnehmung zu realisieren, denn „nur im Ästhetischen können wir uns auf uns selbst zurückbesinnen und einen Schritt neben unseren eigenen Standpunkt treten und die Beziehungen unserer Fähigkeiten auf die Realität erfassen“ (Terry Eagleton).

Alex Baumgartner  /  FU Berlin

 

 

in diesem Spiegelei leben alle miteinander

wenn Kunst Tatsachen sind___wenn Tatsachen Oberflächen sind

in diesem raum bewegen maskierte worte das licht